Schläft ein Lied in allen Dingen
die da träumen fort und
fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.
                                    Joseph von Eichendorff
Wasserklangbilder, Schwingungs- oder Lichtklangbilder sind Fotografien. Sie entstehen im Zusammenwirken von Klang - beispielsweise einer bestimmten Frequenz oder einem Musikstück -, Flüssigkeit - in der Regel Wasser - und Licht. Fotografiert wird die Wasseroberfläche. In dieser spiegelt sich das Licht und wird durch die Wellen auf dem Wasser in sehr unterschiedlichen, vielfältigen Formen reflektiert.
Wasser kommt durch seinen lebendigen, flüssigen Zustand schnell in eine Resonanz mit einem Klang. Beide verbinden sich miteinander und dabei entstehen ganz unterschiedliche Wellenformationen und -ströme. Die in der Verbindung mit einem Ton entstehenden Wellenbilder sind zuweilen sehr gleichmäßig und weisen wunderbare, synchrone Formen auf. Mitunter erinnern uns die so entstehenden Formen an organische Strukturen, die auch in der Natur zu finden sind.
Nimmt die Schwingung zu, kann der buchstäbliche „Sturm im Wasserglas“ entstehen, der plötzlich eine harmonische Wellenformung ins Chaotische überführt. Und ebenso schnell beruhigt sich die aufgebrachte Wasseroberfläche wieder und liegt glatt wie ein Spiegel vor uns, wenn die Musik verstummt oder der Ton abrupt endet.
Da das Wasser für den fotografischen Prozess in einem Gefäß gefasst wird, werden die resonierenden Wellen vom Rand wieder zurückgeworfen und es lassen sich verschiedene, gegenläufige Strömungsbewegungen beobachten. Auch von der Peripherie ins Zentrum.
Spielen der Klang und der Rhythmus, in denen das Wasser schwingend fließt, mit dem Bewegungsraum des Wassers auf eine bestimmte Art zusammen, so entsteht das Form-Phänomen der „stehenden Welle“. Dabei scheint es, als würde das Wasser trotz seines unaufhörlichen Wogens in einer festen Form, einer Welle verharren. In der Beobachtung entsteht der Eindruck, als würde das Wasser sich seine Strukturen gleichsam aus eigenem Impuls suchen und sich freudig in die harmonische Bewegung einer Form einschwingen.
Kann das Wasser seine Form halten, so strahlt dieses Schwingen in der Harmonie der Struktur eine große, tiefe Ruhe aus. Es pulsiert dann rhythmisch, ruhig und gleichmäßig. Die vielen kleinen Wellen fügen sich zu einer gemeinsamen Form. In der Betrachtung der Fotografien liegt ein Gefühl der Ruhe und des Einklangs mit der Welt. Eingebettet in eine schwingende Bewegung, die keinen Anfang und kein Ende kennt.
Der Gedanke an die Ordnung aller Dinge scheint greifbarer zu werden, wenn man sieht, dass ein flüssiges Element wie das Wasser eine so klare, geordnete Form annehmen kann. Die faszinierend synchronen Bilder, die das Wasser im Licht zeichnet, sind doch im Detail betrachtet nie zu einhundert Prozent „mathematisch synchron“, sondern immer lebendig im fließenden Auf und im Ab. Kein Bild, keine Form ist für immer, alles verändert sich in einem Fluss, in einem Übergang, in eine neue Form. Jedes Bild ist einzigartig und doch wirken die Formen oft tief vertraut und wie schon immer da gewesen, uralt. Kein Anfang, kein Ende. Wasser ist in Bewegung, immer fließend.
Für seine Dauer nimmt das Wasser den Klang mit in sein Element auf, es gibt dem Ton eine Resonanz. Dabei wird Wasser nicht zum Ton und der Ton wird nicht flüssig. Gemeinsam gehen Wasser und Klang in eine Form.
Wasser finden wir in allem Leben. In jedem von uns. Wie wunderbar erscheint einem da der Gedanke eines alles Verbindenden, das uns gleichermaßen alle anspricht. Ein altes Lied, ein Urton, eine Resonanz als Reaktion auf andere Menschen, auf anderes Leben.
Vielleicht waren es solche Gedanken, die den Naturforscher Hans Jenny (1904 – 1972) innerlich dazu antrieben, Wellenphänomene und Schwingungen sichtbar zu machen und zu untersuchen. Er ordnete dieser Forschung den Begriff „Kymatik“ zu. Das Wort „Kyma“ entstammt dem Altgriechischen und leitet sich vom Begriff „Welle“ ab.
Der Gedanke, dass Schwingungen und Resonanzen im Rahmen einer Wahrnehmung des Anderen und der Welt eine Rolle spielen, die über das Gehör hinausgehen, ist faszinierend. Ebenso eindrucksvoll ist der Gedanke, dass Töne und Schwingungen, die es praktisch überall im Universum gibt, beigetragen haben könnten bei der Bildung der Formen, wie wir sie heute auf der Welt, in der Natur, den Pflanzen, den Tieren und beim Menschen finden. Was, wenn der Ton eine Rolle gespielt hat bei der Entstehung des Lebens? Gab es ein tiefes Raunen im Universum, das uraltes Wasser in Form brachte und pulsieren ließ?
Das Feld der Kymatik ist meiner Ansicht nach in seinen Konsequenzen sehr weitreichend und mit den großen Fragen der Menschheit verknüpft. Für mich persönlich ist die tiefe Schönheit und Vielseitigkeit, die in den Bildern liegt, der Antrieb für meine Fotografie. Die Strukturen von ornamental-sakraler sowie organisch-energetischer Schönheit, die im Zusammenspiel von Wasser und Klang im Licht sichtbar werden, sind das, was mich täglich staunen lässt. Und dieses Staunen möchte ich hier gerne mit Ihnen teilen. ​​​​​​​
„Und Momo vernahm immer deutlicher, dass dieses Tosen aus unzähligen Klängen bestand, die sich untereinander ständig neu ordneten, sich wandelten und immerfort andere Harmonien bildeten. Es war Musik und war doch zugleich etwas ganz anderes. Und plötzlich erkannte Momo sie wieder: Es war die Musik, die sie manchmal leise und wie von fern gehört hatte, wenn sie unter dem funkelnden Sternenhimmel der Stille lauschte.
Aber nun wurden die Klänge immer klarer und strahlender. Momo ahnte, dass dieses klingende Licht es war, das jede der Blüten in anderer, jede in einmaliger und unwiederholbarer Gestalt aus den Tiefen des dunklen Wassers hervorrief und bildete. Je länger sie zuhörte, desto deutlicher konnte sie einzelne Stimmen unterscheiden.
Aber es waren keine menschlichen Stimmen, sondern es klang, als ob Gold und Silber und alle anderen Metalle sangen. Und dann tauchten, gleichsam dahinter, Stimmen ganz anderer Art auf, Stimmen aus undenkbaren Fernen und von unbeschreibbarer Mächtigkeit. Immer deutlicher wurden sie, sodass Momo nun nach und nach Worte hörte, Worte einer Sprache, die sie noch nie vernommen hatte und die sie doch verstand. Es waren Sonne und Mond und die Planeten und alle Sterne, die ihre eigenen, ihre wirklichen Namen offenbarten.“
                                                                                                                                                                            Michael Ende, Momo, Stuttgart 2020, S. 181f.
Back to Top